Selfcare für Erwachsene

Wer sich um sich selbst kümmert, der hängt erstmal durch. Und ich mag durchhängen. Echte Selfcare für Erwachsene sollte aber anders aussehen. Worum wir uns wirklich kümmern sollten, schlage ich in der neuen Folge RUSH HOUR vor. Diese Investitionen in Wohlbefinden sind dann auch ein Ausblick auf die Dinge, die hier in diesem Jahr wichtig werden.

Gesundheit, Beziehungen, Geld, Zeit, Dinge und die Psyche. Das sind die Faktoren, um die wir uns kümmern sollten. Menschen vernachlässigen ihr Geld, weil sie Angst haben, es könnte zu wenig sein. Sie vernachlässigen ihre Zeit, weil sie denken, sie hätten keine dafür. Und sie vernachlässigen ihre Dinge, weil es leichter ist, neues zu kaufen, als sich einen Überblick über das zu verschaffen, was wir schon haben. 

Selfcare bedeutet in der modernen Welt, eine Kerze anzuzünden, einen Tee zu trinken, eine gewichtete Decke zu kaufen und eine Gesichtsmaske aufzutragen. Wir konsumieren Wohlbefinden. Wir geben Geld aus und kaufen uns für einen Moment vom Alltag frei. Alle machen das. Ich mache das auch. Selfcare ist eine Flasche guten Weines, Bergblumenkäse statt Gouda, Gingerale statt Wasser, alles liegenlassen statt aufzuräumen. Und dann integrieren wir das Neue in den Alltag mit allen Belastungen. Was eben noch erleichtern sollte, ist eine weitere Fessel geworden. Ein weiterer Grund, mehr Wohlbefinden zu konsumieren.

Deshalb hat Selfcare im Jahr 2022 den Status vollkommenen Loslassens erreicht. Gönn dir. Gibt dich selbst auf. Du hast es dir verdient. Und ja: Ich meine das genau so hart, wie ich es sage.

Glücklicher werden wir so nicht, entspannt ist das auch nicht, es gibt keine Energie, keine Sicherheit. In einem „Gönn dir“-Leben verwahren wir uns selbst, warten auf bessere Zeiten und vielleicht kommen irgendwann bessere Zeiten, aber in der Zwischenzeit verlieren wir das Leben im Jetzt. Die Mußestunden des Lebens sind toll, aber sie sind dann halt auch weg. Die werden nicht hinten dran gehängt.

Diese Episode ist kein Plädoyer gegen Entspannung. Sie ist ein Plädoyer dafür, dass wir uns alle wieder mehr um unsere Leben kümmern. Wir konsumieren, wo wir investieren sollten, weil sich die Investitionen zu groß anfühlen. Sind sie aber nicht. 

Gesundheit, Beziehungen, Geld, Zeit, Dinge und die Psyche. Darum geht es heute. Mit der Zeit fange ich an, denn sie ist grundlegend für alle anderen.

1. Zeit

Du hast Zeit. Sag es laut: Ich. Habe. Zeit. Du hast alle Zeit, die du dir nimmst. Ich habe mich für mein nächstes Buch sehr intensiv mit Zeit und Zeitgestaltung beschäftigt und war schon am Anfang erstaunt, wie viel Freizeit Menschen haben. Im Schnitt vier Stunden – und zwar nachdem wirklich alles andere erledigt ist. Einige haben mehr, andere weniger, das weiß ich. Aber wenn wir uns anschauen, wieviel Zeit wir mit Aktivitäten verbringen, die wir selbst gewählt haben, dann summiert sich das. 

Sich um seine Zeit zu kümmern bedeutet, sich mit dem eigenen Gefühl des Müssens zu beschäftigen. Musst du gerade die Fingertapser von der Scheibe wischen oder ist das nur ein Ausdruck deiner Wut auf den Tag? Willst du die freie Stunde am Abend mit lesen verbringen oder mit einem Spaziergang? Willst du die Spülmaschine ausräumen, während deine Kinder schlafen oder noch, wenn sie wach sind? Willst du Sport machen oder Nachrichten lesen? Willst du die Fotos fremder Leute durchschollen oder einer Freundin privat ein Bild von deinem Wochenende schicken?

Es gibt kein Richtig und kein Falsch in diesen Fragen. Aber im Idealfall gibt es bewusste Entscheidungen. Das Bewusstsein für die eigene Zeit entscheidet darüber, wie frei wir wirklich leben. Deshalb: Kümmert euch um eure Zeit. Nehmt sie war. Nehmt sie ernst! Es geht dabei nicht um Perfektion oder darum, immer die richtigen Entscheidungen zu treffen – was auch immer dieses „Perfekt“ nun eigentlich sein soll. 

Es geht nur darum, dass wir bewusst entscheiden. Bewusst vor dem Fernseher zu vergammeln ist völlig okay. Dieses Bewusstsein gibt uns die Kraft, um gut und ausgewogen zu entscheiden. Und diese guten Entscheidungen brauchen wir, um gesund zu leben.

2. Gesundheit

Gesund sein fühlt sich ziemlich toll an. Sich Zeit für die Gesundheit zu nehmen ist eine Investition in Wohlbefinden. Ich bin glücklicher, wenn ich keine Rückenschmerzen habe, weil ich zu lange am Computer geklebt habe oder im Sofa versunken war. Ich habe mehr Energie, wenn ich meinen Körper gelegentlich herausfordere. Gesund sind wir dann, wenn wir etwas mehr machen. 

Die NY-Times Journalistin Gretchen Reynolds hat dafür den 20-Minutes-Ansatz beschrieben: Fordern wir uns uns in der Woche nur 20 Minuten mehr, als der Körper es gewohnt ist, dann stärken wir das Herz. Und ihr Lieben, wie gesund euer Herz ist, ist für eure Gesundheit und euer Wohlbefinden im Alltag wirklich sehr entscheidend. 

Also geht 20 Minuten zügig spazieren oder lauft mal 20 Minuten durch den Park. Wenn ihr das bereits macht, dann kennt ihr euch mit Gesundheit vermutlich gut genug aus, um selbst einen neuen Reiz zu entdecken, mit dem ihr 20 Minuten eurer Woche füllen könnt. Im sedierten Alltag verlieren wir Muskelmasse, die mit steigendem Alter immer schwerer aufzubauen ist. Und das ist ärgerlich, bedeutet aber nicht, dass sich die Investition nicht lohnt. Ich konnte in der ersten Hälfte meiner Schwangerschaft maximal einmal in der Woche überhaupt Sport machen – also vier Monate lang. Danach habe ich mir die leichtesten Hanteln gekauft, die ich finden konnte. Auch gut. Das reichte für den Moment.

Sich für nur 20 Minuten in der Woche aus der eigenen körperlichen Routine zu befreien, macht gesünder. Ihr könnt Gesundheit nicht in Form von Shakes konsumieren, das ist eine reine Werbelüge. In Gesundheit muss man investieren. Kümmert euch um eure Gesundheit. Es ist nicht aufwendig. Aber es wird euch stärker und glücklicher machen.

3. Beziehungen

Verabredungen absagen ist leicht. Selbst Sprachnachrichten bleiben zunehmend liegen, weil die Lethargie zu groß wird. Aber wenn wir uns nicht um unsere Beziehungen kümmern, dann werden wir sie verlieren. 

Ich habe eine Bekannte. Ich würde sie gern Freundin nennen – wir beide wollten die Freundin der jeweils anderen sein. Aber wie ich es auch versuchte, wir kamen nicht zusammen. Sie schickt mir noch immer persönliche und emotionale Sprachnachrichten – so ungefähr alle sechs Wochen, begleitet von einer Reihe von Entschuldigungen. Aber irgendwann muss man auch sagen: Das mit uns, das hat nicht funktioniert. 

Wollen wir unsere Freundschaften behalten, dann müssen wir in sie investieren.

Es ist gut, zu spüren, dass Freundschaften auch halten, wenn man sich länger nicht beieinander meldet. Aber als Erwachsene können diese Zeiten ganz schön lang werden. Wenn das Band zwischen zwei Menschen nicht flexibel genug ist, um diese Zeiten auszuhalten, dann wird es irgendwann reißen. Und zwar lautlos. Manchmal ist das okay, aber wenn ihr die Person gern habt, dann solltet ihr investieren.

4. Geld

Vor ein paar Wochen habe ich euch auf Instagram gefragt, in welche Anlageprodukte ihr zuletzt euer Geld investiert habt. Die Antworten waren toll: Den Weltindex haben mehrere genannt, andere haben mir spannende Spezial-ETFs genannt.

Aber ein paar von euch haben mir geschrieben, dass sie für so etwas kein Geld hätten. Und das ist nicht okay. Wir müssen uns um unser Geld kümmern, wenn wir es behalten wollen. Ich habe mir selbst deshalb ein sehr radikales Sparprogramm für die ersten Monate des Jahres auferlegt: Ich kaufe einfach keinen Scheiß mehr und ich lasse die Finger vom Online-Shopping. Ich schaue noch immer in die Portale, aber ich schließe keine Käufe mehr ab. 

Und ich bin jemand, der eine bereits wirklich hohe Sparquote hat. Aber es könnte eben mehr sein. 

Manche Menschen sparen schlicht gar nicht. Oder sie legen ihr Geld auf Konten, bei denen das es verfügbar bleibt. Wer im vergangenen Jahr 1000 Euro auf einem dieser Konten hatte, der hat 31 Euro an die Inflation verloren. Puff. Einfach weg. Der Index, der die wirklich ödesten und gleichzeitig klügsten aller Anlageprodukte leitet, hat in dieser Zeit um 33% zugelegt. Das ist pandemiebedingt ungewöhnlich viel, normal wären eher acht bis zehn Prozent. Was aber immer noch deutlich mehr gewesen wäre, als fünf Prozent Verlust.

Ich sage nicht: Kauft das.

Ich sage: Informiert euch, damit ihr gute Entscheidungen für euer Geld treffen könnt. 

Als ich angefangen habe, mich um mein Geld zu kümmern, habe ich mir einen Monat Zeit genommen für die Recherche. In dieser Zeit habe ich alles über ETF, Aktien und die Börse gelesen. Ich habe mich über günstige Depots informiert und darüber, dass Bankberatung eigentlich ein Verkaufsgespräch zulasten der Kundschaft ist. Als der Monat um war, habe ich mein Depot angemeldet, etwas Geld überwiesen und meine ersten ETF gekauft. 

Dafür braucht man nicht viel Geld. Dafür braucht es erst einmal nur eine Entscheidung und ein paar Abende Zeit, die ihr in die Recherche investiert. 

Mit der Zeit passiert etwas ganz Erstaunliches: Geldanlage wird zu einem Konsumobjekt. Plötzlich macht es Spaß, den Überschuss eines Monats ins Depot zu packen und eine spannende Aktie zu kaufen oder einen ETF, der euren Werten entspricht. 

Kümmert euch um euer Geld, sonst verpufft es von ganz allein, Jahr für Jahr. Finanzielle Grundbildung erwerbt ihr an 2-3 Abenden, wenn ihr ein paar grundlegende Artikel lest, zum Beispiel bei der Zeitschrift Finanztest. Es gibt auch tolle Bücher dafür, viele empfehlen Madame Moneypenny.

Wenn ihr euer Geld nicht im Blick behaltet, dann wird es euch leicht fallen, es auszugeben. Und zwar für Dinge, die ihr oftmals nicht braucht. Kaufen ist ein Bedürfnis, das von der Nutzung oft unabhängig ist. Und für die großen, angeblichen Kapitalanlagen wie Autos gilt oft: Wenn ihr vom Parkplatz des Autohauses rollt, habt ihr in drei Sekunden Tausende von Euro vernichtet. Und all die Kleider, die ihr nie tragt? Die Schuhe, die nur zu diesem einen Kleid passen? Die Bücher, die ihr nicht lest? Die Cremes, die immer wieder neues versprechen und dann im Bad vergammeln. 

Kümmert euch um euer Geld, sonst ist es weg und kommt nicht wieder.

5. Dinge

Wir haben zu viel Zeug. Einer der Hauptgründe, warum Menschen neue T-Shirts kaufen, ist, dass sie keinen Überblick über die T-Shirts haben, die sie schon besitzen. Die schicken Teile sind unter den Alltagsfummeln versteckt, die zwar praktisch sind, aber auf die Dauer langweilig werden, weshalb die Leute dann neue Sachen kaufen, die bald wieder nach unten im Stapel wandern, wenn es denn überhaupt noch ein Stapel ist. 

Zu viele Bücher. Zu viele Zeitschriften, in die wir irgendwann nochmal reinschauen wollen. Zu viele Vorratsdosen, für die aber noch irgendwo, wer weiß schon wo?, ein Deckel sein muss. Die Heißluftfriteuse, der Sandwichtoaster. Der Joghurt-Bereiter, sogar die verdammten Backzutaten und von der Gefriertruhe will ich gar nicht erst anfangen. 

Das Problem mit diesem Zeug ist, dass es nicht kuratiert ist. Wir haben in der Vergangenheit zu viel Krempel in unser Leben gelassen, egal, ob es echte Liebe war oder Ausdruck schierer Alltagsfrustration. Aber im unkuratierten Krempel-Zuhause ist noch so viel Platz für Weiteres und der Bedarf ist auch da, denn niemand hat auch nur die geringste Ahnung davon, wieviel er oder sie wirklich besitzt.

Ausmisten heißt die Lösung. Denn wer sein Zuhause nur mit Dingen füllt, die wirklich hineingehören, der wird künftig sorgsamer wählen, was dazu darf. 

Und dazu gehört auch die Ehrlichkeit, mal etwas wegzuschmeißen. Niemand will die ladderige Jogginghose haben, die nach dreimaligem Waschen nicht mehr schön war. Schmeißt sie weg und denkt bei nächsten Mal besser nach, bevor ihr so einen Mist kauft.

Und ich weiß, dass ihr jetzt protestiert. Aber informiert euch mal über die Lage bei den kleidersammelnden Stellen: Die werden mit Müll überschüttet. Sie suchen hochwertige Dinge. Dinge, die auch Bedürftige gern tragen, die sie warm halten und in denen sie würdig aussehen. Wenn dir ein Teil selbst zu schäbig ist, warum soll es dann jemand anderes tragen? 

Wer Müll in die Altkleidersammlung steckt, der hilft dem System nicht. Der belastet es. Seid so ehrlich, eure Sachen wirklich wegzuwerfen, wenn sie nicht mehr gut sind. Es ist eine sehr lehrreiche Erfahrung. 

Ein nachhaltiges Leben bedeutet nicht, seinen Müll zu verschenken. Ein nachhaltiges Leben bedeutet, weniger Müll anzuschaffen. Kümmert euch um euer Zeug, sonst sperrt es euch ein und schreit nach Vermehrung.

6. Psyche

Kommt jetzt das Selfcarekuscheln, auf das ihr alle gewartet habt? 

Nein.

Sich um die eigene Psyche zu kümmern bedeutet nicht, ständig gut und liebevoll zu sich zu sein. Keine Frage, wir sollten liebevoll zu uns selbst sein und auch zueinander. Aber sich um sich selbst zu kümmern verlangt auch ein gewisses Maß an Ehrlichkeit. Wir können kein gutes, bewusstes Leben führen, wenn wir uns nicht damit auseinandersetzen, was für Menschen wir sind. Ende Januar erscheint Podcast-Folge 52 mit der Autorin Anja Niekerken. Wir sprechen über „Die Kunst, kein Arschloch zu sein“, darüber hat Anja ein Buch geschrieben. Und dafür müssen wir uns eben auch bewusst werden, wann wir Arschlöcher sind. Und das nicht sofort relativieren, Gründe suchen und Entschuldigungen. Wir müssen schlechte Gefühl auch mal sein lassen. Sie haben eine Funktion, sie wollen uns helfen, besser zu leben.

Wir müssen uns bewusst werden, wann wir uns so sehr hängen lassen, dass wir uns selbst damit schaden. Zu viel Selbstfürsorge ist schlicht nicht gesund, wenn sie damit verwechselt wird, jedem Bedürfnis nachzulaufen. 

Die Bedürfnisorientierung der Gegenwart ist ein schöner Trend, aber sie wird oft falsch verstanden. Zu kurzfristig gedacht schaden wir uns damit selbst. In meinem Buch „Wie gut soll ich denn noch werden?!“, vergleiche ich dieses Vorgehen mit einem Schulbusfahrer, der immer abbiegt, wenn ein Kind ihm sagt, dass er das tun muss. Er kommt nie irgendwo an, denn er folgt immer dem Kind, das am lautesten Schreit.

Genau so ist das mit unseren Bedürfnissen auch. Wenn wir nicht mit ihnen verhandeln, dann übernehmen sie das Ruder. Ein selbstbestimmtes Leben ist das nicht. 

Wir tun so viel, wir leben so laut und als Ausgleich lassen wir uns hängen. Das Gegenteil könnte zu einem guten Leben führen: Weniger tun. Bewusster leben. Weg von den Ablenkungen. Es wird immer diese Stimme in dir geben, die sagt: „Ich brauche das gerade.“

Wir hängen wie Junkies an der Nadel der akuten Selbstfürsorge. 

Langfristige, lebens-, gesundheits- und glücksorientierte Selbstfürsorge funktioniert anders. 

Sie ist viel einfacher.

Wir alle wissen, was gut für uns ist, wir handeln nur nicht danach.

Aber manchmal reicht es schon, statt einer Online-Shoppingtour spazieren zu gehen und dabei eine Sprachnachricht zu verschicken. 

Ihr seid erwachsen. Kümmert euch um eure Zeit, gestaltet sie bewusst. Kümmert euch um eure Gesundheit, auch wenn ihr dafür 20 Minuten Bewegung investieren müsst. Kümmert euch um euer Geld, sonst fühlt es sich vernachlässigt und haut ab – und das Gleiche gilt für eure Beziehungen. Kümmert euch um euer Zeug. Und kümmert euch um eure Psyche. Seit ehrlich zu euch und mit euren Gefühlen, aber lasst euch nicht von ihnen fernsteuern. Auch mit Gefühlen lässt sich handeln. 

Schön, dass ihr da wart, vielen Dank. 

Und bis bald. 


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