Kinder haben & Kreativ leben
Kinder sind die kreativsten Menschen, die es gibt. Sie sind motiviert. Sie sind unbelastet. Sie sind frei. Trotzdem denken so viele von uns, wenn wir Kinder haben, geben wir unsere Kreativität auf. Es ist eine Idee, die so allgegenwärtig ist, dass wir sie glauben. Unser Glaube macht sie wahr. Aber was, wenn es gar nicht so ist? Darüber spreche ich heute im Podcast RUSH HOUR.
Ich war unsicher, ob ich ein Kind haben wollte. Ich hatte Angst vor der Überforderung, Angst davor, dass meine chronische Schlaflosigkeit mich zu sehr belasten würde. Ich hatte Angst vor der Nähe. Angst davor, mein Leben zu sehr beschränken zu müssen. Angst, nicht mehr gut zu arbeiten. Angst, eine Flexibilität zur Verfügung stellen zu müssen, die in mir nicht angelegt ist. Angst vor dem, was eine Schwangerschaft mit meinem Körper tun würde. Angst davor, als Mutter jeden Tag Angst zu haben. Angst um meine Freiheit.
All diese Ängste beweinte ich vor ein paar Jahren in einer Aprilnacht über einer Flasche Dessertwein mit einer Freundin. Sie hatte damals schon ein Kind. Ich hatte eine Partyreihe, Crémant und Dessertwein, Käse, Freundinnen, Sport, meine Arbeit, meine Ideen, meine Tränen, meine Angst.
Zwei Monate und eine Party später pinkelte ich morgens um fünf auf einen Schwangerschaftstest. Ich hatte mir vorher nicht durchgelesen, wie so ein Ding funktioniert und so begriff ich nur sehr langsam, dass ich nicht mehr allein auf der Toilette war.
Oh. Hi.
Mein Freund freute sich, schlief dann aber weiter. Ich ging ins Wohnzimmer, um alles über Kinder zu recherchieren. Erst einmal recherchieren war immer schon mein Weg, um mir eine möglichst breite Palette von Optionen zu schaffen. Die Schwangerschaft war überwiegend die Hölle, mit Hyperemesis, Blutungen, Eisenmangel. Und einer Tochter, die zu klein und zu zart war, was mir sehr viele Besuche bei meiner Ärztin einbrachte. Ich arbeitete, wenige gute Zeiten ausgenommen, fast gar nicht mehr. Wäre mein Buch „Wie gut soll ich denn noch werden!?“ zum Zeitpunkt des Tests nicht überwiegend fertig gewesen, ich hätte es nicht geschafft. Stattdessen lag ich vor dem Fernseher, ging nur nachts raus, aß nicht, würgte Wasser tröpfchenweise herunter und hoffte, dass alles gutgehen würde. Meine Arbeit war mir egal. Meine Kreativität war mir egal. Ich recherchierte alles über Fieberthermometer, bestellte hübsche Möbel fürs Kinderzimmer und das war in Ordnung.
Die Geburt war auch in Ordnung. Die ersten Monate waren in Ordnung. Und dann betrat ich die Hölle der Schlaflosigkeit, aus der ich erst kurz vor ihrem zweiten Geburtstag wieder herausfand. Schlaflosigkeit war nicht neu für mich – aber jede Nacht? Meine Tochter schlief meistens gut. Natürlich hatte sie diese Zeiten, in denen sie zwei, manchmal dreimal aufwachte. Sie hatte aber auch Zeiten, in denen sie nur einmal aufwachte.
Es war alles egal. War ich einmal geweckt, dann war die Nacht für mich beendet. Arbeiten? Kreativität? Analytisches Denken?
Nichts davon.
Überleben. Die Nerven behalten, das war meine Baustelle. Und irgendwann gar nichts Konkretes mehr, weil es schon zu viel war, den Arm zu heben oder anderen Menschen ins Gesicht zu sehen.
Der Wille war noch da, jedenfalls manchmal. Ich war erschöpft, aber ich wollte trotzdem leben. Ich wollte mich nicht aufgeben. Ich wollte lernen, Neues entdecken. Kurz vor dem ersten Geburtstag meiner Tochter hatten wir es gerade so aus der finstersten Zone herausgeschafft. Ich schlief noch immer höllisch schlecht, aber ich hatte die Tage besser organisiert, meiner Tochter einen Tagesablauf gegeben, der für uns alle funktionierte und mir selbst Raum für Weiterentwicklung ließ. Raum dafür, mich selbst wieder zu beachten. Außerdem stand mein Freund kurz vor einer weiteren Phase der Elternzeit.
Ich schrieb eine E-Mail an meinen Agenten und wollte ein Buch über Lebenslanges Lernen schreiben. Das kurze Konzept hatte ich in den Tagen davor sehr liebevoll ausgearbeitet. Ich saß vor dem Computer und ich erinnere mich noch daran, wie das Licht an diesem Tag auf meinen Schreibtisch fiel.
Wichtige Momente brennen sich ein, aber mir war damals noch nicht klar, wie wichtig, wie groß, wie absolut entscheidend dieser Augenblick für mein weiteres Leben war und für das Glück, das ich darin formen konnte, wenn ich mir nur die Mühe machte, zu formen. Zu erschaffen.
Da war noch eine Idee.
Ich tippte noch einige Zeilen darunter, nur eine Liste, wie ein anderes Buch aussehen könnte, ein anderes Thema. Zeitmanagement in der Elternzeit. „Du hast mehr Zeit, als du denkst“, nannte ich das. Ein paar Tage später telefonierten wir und einigten uns darauf, dass ich diese schnelle Idee weiterverfolgen würde.
Aber ich schrieb. Und bevor ich zu den Methoden kam, schrieb ich für das erste Kapitel auf, wie es mir ging. Ich schrieb auf, wie es mir vier Monate zuvor gegangen war, Ende 2019, als ich versucht hatte, meinen Freund davon zu überzeugen, dass diese Familie sicher besser dran wäre, wenn ich nicht mehr weiterlebte. Ich schrieb von meiner Erschöpfung. Vom Kontrollverlust. Ich schrieb davon, wie ich an der Wand gelehnt hatte. Vollkommen leer.
Damals war es eine belastete Leere. Eine Schwere, die mich so weit niedergedrückt hatte, dass ich nichts mehr sah, nichts mehr wahrnahm und wenn doch, dann wäre es mir zu viel gewesen. Eine Schwere aus Überforderung, aus Einsamkeit, aus Wut, bis irgendwann keine Wut mehr da war, sondern Ratlosigkeit und dann gar nichts mehr.
Da war keine Dunkelheit.
Es war grau.
Aber das Grau ging wieder weg, mit jeder Zeile, die ich schrieb, mit allem, was ich aus mir herausließ.
Mit den Ideen, die ich entwickelte, den Lösungen, den Strategien, leuchtete ich mein Leben neu aus. Ich leuchtete mich selbst neu aus.
Und da war viel mehr Licht als jemals zuvor.
Weicheres Licht, das freundlicher mit mir selbst umging.
Ich probierte ein paar harte Scheinwerfer aus – welche Frau wollte ich nun sein? Welche Mutter wollte ich sein? Welches Ich wollte ich sein? Aber das waren die falschen Fragen.
Ich hatte keine Fragen mehr.
Ich war.
Ich bin nicht ich geworden, weil ich nun eine Tochter habe. Noch immer tue ich mich schwer, wenn jemand sagt „Isabell ist Mutter“. Sachlich sicherlich korrekt, aber Isabell ist Autorin, Isabell ist Expertin für moderne Arbeit, Isabell ist Ökonomin, Isabell ist wetterfest, Isabell gibt gute Partys.
Ich war vorher schon ich.
Ich bin nur jetzt netter zu mir, weil ich diese graue Welt in mir entdeckt habe. Und sie mit Licht gefüllt habe und mit der Freiheit, mich und meine Arbeit und mein Leben selbst zu bewerten.
Das war nicht meine Tochter.
Das war ich.
Vor einer halben Stunde habe ich wieder Angst gehabt. Ich hatte meine Tochter gestern zu früh ins Bett gesteckt, sie war umstandslos um kurz nach 18 Uhr eingeschlafen – und gegen halb 2 in der Nacht wieder wach, und zwar lange. Ein seltenes und dennoch vorhersehbares Problem, wenn ich ehrlich bin. Es würde dauern, aber sie würde wieder einschlafen.
Ich nicht.
Also lag ich in ihrem Bett und ging meine Aufgaben für morgen durch. Aufgaben in der Gestaltung. Einen Text über Veränderungen schreiben, mit wissenschaftlicher Basis – komplexe Studien, vor denen mich meine Redakteurin gewarnt hatte. Fehler in einem Dokument finden. Termine? Keine Termine morgen, immerhin. Aber auch keine Chance auf Kreativität. Ich würde froh sein können, wenn ich beim Schreiben nicht die Worte verwechselte.
Es ärgerte mich.
Aber nicht sehr.
Die Haare meiner Tochter kitzelten mich am Kinn, ich streckte mich ein wenig. „Ich will nicht allein einschlafen“, sagte sie. Ich fühlte mich diffus geschmeichelt, kann aber nicht behaupten, dass ich vor lauter Liebe gern wachgeblieben bin. Ich ärgerte mich also ein wenig und grübelte, atmete langsam und beruhigend und streichelte ihren Bauch. Ich bin wirklich sehr gut darin, mich in meditativer Ruhe zu ärgern.
Irgendwann sagte sie: „Du kannst jetzt rausgehen“, was ich für eine knapp-Dreijährige erstaunlich finde. In meinem Bett fand ich keinen Platz mehr, also ging ich nach unten. Ich würde morgen nicht arbeiten können und mitten in der Nacht für einen journalistischen Artikel die Ergebnisse neurowissenschaftlicher Studien aufzuschreiben ist auch keine gute Idee. Aber schreiben konnte ich ja trotzdem.
Ich hatte den Tag verloren.
Aber ich hatte die Nacht gewonnen.
Und ich hatte die vollkommen freie Wahl, mich über das verlorene Einkommen zu ärgern oder über die Chance, ungestört von der Welt zu schreiben.
Kreativ zu sein.
Diesen Begriff zu schreiben – Kreativität – fällt mir noch immer schwer. Ich war nicht das Kind, das im Deutsch- oder Kunst- oder Musikunterricht die Lehrenden begeisterte. Ich war bestenfalls „auch da“, schlimmstenfalls ein Ärgernis in den Augen derer, die mir etwas hatten beibringen sollen. Ich war nicht kreativ und nicht begabt, hatte keinen Klavierunterricht gehabt und die Feinmotorik einer gedrehten Linkshänderin. Also keine.
Kreativität war etwas, das andere haben oder spüren oder machen. Für mich war die Kunst der Feind, der Zirkel des Gehobenen, der mich ausschloss und meine Versuche verlachte.
Aber ich konnte immer schon besser rechnen als alle anderen. Ich fand klügere Lösungswege, schnellere, effizientere. Das VWL-Studium habe ich geliebt und es machte mich wütend, wie eng die Modelle darin sind. Das Wirtschaftsrecht-Studium passte besser: ein Gesetz und eine Welt voller Möglichkeiten, es zu interpretieren. Kreativität finden wir an den erstaunlichsten Orten.
Aber in mir? Sie war da gewesen. Niemand hatte sie gesehen und ich hatte sie nicht wahrhaben wollen. Ich kratze mir nervös über die Handflächen, während ich es wage, in diesen noch sehr frühen Morgenstunden über dieses Elitendings namens Kreativität zu schreiben.
Es war nicht nur das Leben als Eltern, vor dem ich früher Angst gehabt hatte. Diese Angst war so groß gewesen, dass sich hinter ihr noch andere verstecken konnten. Ich hatte Angst vor Kunst und Kreativität, weil mir das alles suspekt war und weil ich mein Leben lang für jeden Versuch verurteilt worden war.
Ich hatte Angst, zu versagen und mit nichts zurückzubleiben. Ich hatte Angst vor Gruppen, weil ich sie in der Schule oft als potentiell feindselig erlebt hatte. Ich hatte Angst, runtergemacht zu werden, abgewertet. Ich hatte Angst, mich zu zeigen.
Freiheit war immer mein wichtigster Wert gewesen und Kreativität ist Freiheit. Aber wo Angst ist, da ist keine Freiheit. Ich hatte mich hinter meiner Idee von Freiheit versteckt und sie doch nicht ausgelebt. Ich hatte mich als zu klein empfunden und dabei Angst vor Wachstum gehabt. Wer wächst, gibt zu, dass er vorher zu klein gewesen war. Und das konnte ich nicht. Auch davor hatte ich Angst. Ich hielt Wachstum für die größte mögliche Angriffsfläche und ich wollte sie lieber nicht bieten.
Heute habe ich vor nichts mehr Angst. Gut – Spinnen, aber auch das wird langsam besser.
Doch das Urteil anderer hat seine Relevanz verloren. Vielleicht nicht einmal, weil ich eine Tochter habe. Sondern vor allem, weil ich älter geworden bin. Näher bei mir.
Aber ein Stück weit eben doch, weil ich eine Tochter habe. Bedingungslose Liebe gibt uns die Freiheit, uns von unseren Ängsten zu lösen. Wir werden nie tiefer fallen, als diese Liebe uns lässt. Und besonders tief ist das nicht. Kleine Herzen lieben groß. Und ewig.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das Urteil anderer niemals so sehr schmerzen kann, wie das eigene Urteil es tut. Und ich bin in einem Alter und in einer Lebenssituation, in denen sich andere zurückhalten damit, mir zu erzählen, was ich nun schon wieder falsch gemacht habe. Die Erinnerung an diesen Schmerz ist noch da und sie tut auch weh.
Aber ich löse mich aus dem Machtbereich dieses Schmerzes. Und gleichzeitig habe ich die Angst vor ihm verloren. Einen Artikel komplett umschreiben zu müssen tut weh. Ein Laufrad an einem kalten Tag über einen Wanderweg zu tragen tut auch weh. Fünf Kilometer durch den Regen laufen tut weh. Kritik von Menschen, deren Urteil mir viel bedeutet, tut weh.
Aber all das sind Wachstumsschmerzen. Schmerzen, die mich wachsen lassen.
Dieses Bewusstsein schlich sich langsam an, seit ich in jenem Winter begann, über meine Erfahrungen als Mutter zu schreiben, meine Leere, meine Ängste, aber auch über meine Ideen.
Vom Frühling an löste ich mich öfters von meiner von meiner Familie, stundenweise, tageweise, irgendwann mehrere Tage am Stück. Ich gab mir selbst die Chance, meine Familie zu vermissen. Im Sommer beendete ich dann meine Elternzeit und begann wieder zu arbeiten. Im Herbst erkannte ich meine eigene Expertise an und begann, im Podcast zu erzählen, was ich weiß. Und ich recherchierte und probierte und fand um den Jahreswechsel etwas gegen die Schlaflosigkeit. Heute schlafe ich genau so gut oder schlecht, wie alle anderen auch – nur mitten in der Nacht wecken sollte man mich immer noch nicht.
Aber wenn, dann weiß ich die Zeit zu gestalten.
Ich danke euch sehr fürs Zuhören. Das Buch, das ich in der Elternzeit geschrieben habe, heißt Das Eltern Zeit Buch und wenn ihr mehr Freiraum in dieser Zeit gestalten wollt, dann ist es vielleicht das Richtige für euch.
Also vielen Dank. Und bis bald.
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